Der Mercedes-Maybach schnürt die Sehnsucht nach dem Luxus-Flügeltürer. Am Freitag feierte er in Kalifornien Premiere und krönt das Comeback der Luxusmarke. Doch Kaufinteressenten werden erst einmal lange Gesichter machen.
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© Daimler AG Feiert an diesem Freitag zum Auftakt des Concours d’Elegance in Pebble Beach in Kalifornien seine Premiere: der Vision Mercedes-Maybach.
von Tom Debus,
Frankfurter Allgemeine Zeitung
Einen habe ich noch: Normalerweise sind Vorstandssitzungen für Gorden Wagener mittlerweile fast schon Routine und die Präsentationen seiner Entwürfe ein eingespieltes Ritual. Schließlich ist der Siebenundvierzigjährige jetzt seit acht Jahren Designchef bei Daimler, hat so langsam die gesamte Modellpalette auf Linie gebracht und schreibt sich zu Recht einen Teil des Erfolgs zu, der den Stern gerade so hell strahlen lässt wie nie zuvor. Doch diese spezielle Sitzung Ende vorigen Jahres wird er so schnell nicht vergessen. Das Auto, das er dem Management da präsentierte, war ein feudaler Flügeltürer, wie er verschwenderischer und verführerischer, aber zugleich auch unvernünftiger kaum sein könnte. Statt der befürchteten Bedenken gaben aber Chef Zetsche, der oberste Verkäufer Källenius und der erste Techniker Weber grünes Licht für eine spektakuläre Studie: den Maybach 6. Der offizielle Name ist Vision Mercedes-Maybach 6.
Krönendes Comeback der Luxusmarke
Ende dieser Woche feiert der Luxusliner zum Auftakt des Concours d’Elegance in Pebble Beach seine Premiere und krönt damit vorläufig das erfolgreiche Comeback der Luxusmarke. Zugleich gibt er damit einen Ausblick, wohin die Reise für Maybach noch gehen könnte. Die Maybach-Wiedergeburt war zwar schwierig, und der erste Versuch mit Maybach 57 und 62 (2002 bis 2012) gilt gemeinhin als größter Flop in der jüngeren Mercedes-Benz-Geschichte. Doch als Nobelvariante der S-Klasse ist die Marke Maybach (ursprünglich wurden die Luxusautos von 1921 bis 1941 gebaut) mittlerweile so gefragt, dass Mercedes-Benz jeden Monat mehr als 500 Exemplare nach China schickt – und die Nachfrage selbst damit noch nicht befriedigen kann.
Dass Wageners Schaustück trotzdem nicht in China, sondern in Kalifornien Premiere feiert, hat gleich zwei gute Gründe: Zum einen kommen dort während der Monterey Car Week mehr schwerreiche Auto-Liebhaber zusammen als irgendwo sonst auf der Welt. Und als Luxusspielzeug ist der Maybach 6 schließlich gemacht. Zum anderen ist der Concours der Ort, an dem sich Wagener für den Maybach 6 am meisten hat beeinflussen lassen. Denn es sind vor allem die Art-Déco-Sportwagen und Aero-Coupés aus den dreißiger Jahren, die Wagener jedes Mal aufs Neue begeistern, wenn er als „Judge“ mit dem traditionellen Strohhut der Juroren über das berühmte Green schlendert.
Der sechs Meter lange Maybach 6 mit seinen Flügeltüren mag verschwenderisch sein, aber beim Thema Antrieb hält er natürlich Maß. Das Showcar fährt elektrisch. Gespeist werden die vier, zusammen 550 kW starken Motoren aus einem flachen 80-kWh-Akku im Wagenboden, der in der Vision der Entwickler genug Energie für 500 Kilometer liefert und kabellos nachgeladen wird.
Die Tür mach hoch: Der sechs Meter lange Maybach ist ein Viersitzer mit Luxus-Flügeltüren. © Daimler AG Bilderstrecke
„Luxus, in autonomen Autos noch selbst fahren zu können“
Etwas überraschend gibt es im Maybach von morgen allerdings noch ein Lenkrad. „Irgendwann wird es der wahre Luxus sein, wenn man in einer Welt voll autonomer Autos tatsächlich noch selbst fahren kann“, vermutet Wagener.
Für die Passagiere verspricht der Designer eine moderne Kombination von innovativer Digitaltechnik und traditioneller Handwerkskunst mit feinsten Materialien. „Denn in einer Zeit, in der selbst das edelste Smartphone mit der nächsten, nicht mehr kompatiblen Software-Generation zum elektronischen Alteisen wird, gibt es eine Sehnsucht nach authentischem, analogem Luxus“, meint er. Über den digitalen Anzeigen drehen sich deshalb im „hyperanalogen“ Cockpit auch weiter echte Zeiger. Umgekehrt sind dafür die Zierelemente der Capitonné-Polsterung nicht einfach nur mit Leder kaschierte Knöpfe, sondern spezielle „Body Sensor Displays“, mit denen die Passagiere gescannt werden. So steuert der Maybach automatisch Sitzklimatisierung, Massage und die Form der Polster oder regelt die Temperatur und Ambientebeleuchtung nach Lichteinfall und Farbe der Kleidung. Das könnte gerade in Pebble Beach nicht schaden, wo es bisweilen schwerfällt, am heißen Nachmittag noch einen coolen Auftritt hinzulegen.
Zwar sitzen die Millionen locker in Pebble Beach, und vom vorletzten neuen Maybach wurden dort am Premierenwochenende angeblich gleich mehrere Dutzend Exemplare verkauft. Doch diesmal werden auch die Sehr-viel-besser-Verdiener lange Gesichter machen. Denn selbst wenn Wagener im Maybach 6 durchaus Potential für eine neue Modellreihe oder zumindest eine Anregung für das nächste Coupé der S-Klasse sieht, wird fürs Erste nicht viel mehr als der neue, mit seinen feinen Streben von einem Nadelstreifen-Anzug inspirierte Maybach-Grill in Serie gehen, der dafür schon im Frühjahr zum Facelift der S-Klasse kommen könnte. Es sei denn, Wagener erlebt in der nächsten Vorstandssitzung gleich die nächste Überraschung: Man wird ja wohl noch mal ein bisschen träumen dürfen.
Quelle: F.A.Z.